Sind achtsame Führungskräfte bessere Leader*innen?
In einer zunehmend komplexen und schnelllebigen Arbeitswelt suchen Führungskräfte nach Wegen, ihre Teams effektiver und authentischer zu führen. Eine aktuelle Studie von Tan, Peters und Reb (2023) bringt einen interessanten Ansatz ins Spiel: Achtsamkeit.
Doch was genau macht Achtsamkeit und warum könnte sie der Schlüssel zu besserer Führung sein?
Achtsame Führungskräfte zeichnen sich durch eine erhöhte Selbstwahrnehmung, bessere emotionale Intelligenz und eine tiefere Verbindung zu ihren Mitarbeitern aus. Sie sind nicht nur in der Lage, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu regulieren, sondern schaffen auch ein Arbeitsumfeld, das von Vertrauen, Offenheit und gegenseitiger Unterstützung geprägt ist.
Diese Qualitäten führen zu einer gesteigerten Effektivität, einem stärkeren transformationalen Führungsverhalten und einer authentischeren Führung. Doch wie genau verbessert Achtsamkeit das Führungsverhalten und welche konkreten Vorteile bringt sie mit sich?
In diesem Artikel erfährst du, welche positiven Effekte Achtsamkeit auf die Führungsqualität hat, wie du diese Erkenntnisse in deinem Führungsalltag umsetzen kannst und welche praktischen Übungen dir dabei helfen können, deine Achtsamkeit zu steigern.
Welche positiven Effekte bewirken achtsame Führungskräfte?
1. Achtsamkeit steigert die Effektivität von Führungskräften.
Studien zeigen, dass achtsame Führungspersonen sowohl in Bezug auf Effektivität ("das Richtige tun" wie auch in Bezug auf Effizient (Produktivität) bessere Ergebnisse aufweisen.
Ausserdem haben achtsame Führungskräfte (mindful Leaders) einen positiven Effekt auf die Motivation der Mitarbeiter*innen. Und die Mitarbeitenden zeigen eine deutlich grössere Zufriedenheit mit der Führungsperson.
2. Achtsamkeit steigert das transformationale Führungsverhalten. Was ist das?
Ein transformationales Führungsverhalten ist ein Führungsstil, der Mitarbeiter*innen anregt und inspiriert, das Erreichen gemeinsamer Ziele über die eigenen Interessen zu stellen. Leistungserbringung ist ein Ergebnis bzw. ein Aspekt transformationaler Führung. Parallel steht aber auch die persönliche Entwicklung und das Wachstum der Mitarbeiter*innen im Fokus.
Zum transformationalen Führungsverhalten gehören 4 Dimensionen:
Idealisierter Einfluss
Dazu gehört, dass Führungskräfte nicht nur selbst den Sinn und Zweck ihrer Arbeit erkennen, sondern auch aktiv dazu beitragen, dass das auch ihre Mitarbeiter*innen Sinn und Zweck der Tätigkeiten verstehen.
Möglichst alle sollen sich mit den Werten des Unternehmens identifizieren können und sich von dessen Zielen inspirieren lassen. Diese Identifikation mit dem Unternehmen und den gemeinsamen Zielen kann die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter*innen erheblich steigern.
Die Vorbildfunktion der Führungskräfte erzeugt ein Umfeld, in dem die Mitarbeitenden bestrebt sind, den gleichen Enthusiasmus und das gleiche Engagement zu zeigen. Dies führt zu einer höheren Leistungsbereitschaft und einem stärkeren Zusammenhalt im Unternehmen.
Inspiration
Transformationales Führungsverhalten ist inspirierend. Inspiration ist also eine weitere Komponente des transformationalen Führungsverhaltens. Führungskräfte entfachen Optimismus, Begeisterung und Zuversicht in sich selbst und als Folge davon auch in den Mitarbeiter*innen.
Individuelle Berücksichtigung
Der Leader/ die Leaderin kennt ihre Mitarbeiter*innen gut. Er/sie hat die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen im Fokus und versucht, darauf einzugehen.
Auch Stärkenorientierung spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Eine Orientierung an den Stärken, Fähigkeiten und Talenten der Mitarbeiter*innen ist ein zentraler Aspekt transformationaler Führung.
Führungskräfte gehen auf jede*n Einzelne*n ein, coachen, beraten und geben wertvolles Feedback zur persönlichen Entwicklung. Sie trauen ihren Mitarbeiter*innen "etwas zu* und übertragen so auch Verantwortung. Ganz besonders steht dabei auch die Haltung und das Menschenbild im Vordergrund, dass sich Menschen persönlich weiterentwickeln wollen und können.
Herausforderungen am Arbeitsplatz sind also Chancen (und nicht Risiken) für Wachstum und Entwicklung.
Intellektuelle Stimulation
Der Leitspruch: "Das haben wir schon immer so gemacht, also bleibt das auch so" ist defintiv kein Aspekt transformationaler Führung. Führungskräfte, die intellektuelle Stimulation fördern, ermutigen ihr Team aktiv, eingesessene Methoden und Vorgehensweisen (kritisch) zu überdenken.
Kreativität wird gern gesehen und entsprechend gefördert. "Think out of the Box" ist da schon eher die richtige Haltung. Das hilft, eigene, einzigartige und innovative Perspektiven zu entwickeln. Teammitglieder werden so zu lösungsorientierten Mitarbeiter*inne und zu Problem-Löser*innen.
3. Achtsamkeit macht authentische Führungspersonen. Was ist das?
Authentische Führung ist ein Führungsstil, der auf Ehrlichkeit, Transparenz und Integrität basiert. Authentische Führungskräfte handeln nach ihren inneren Werten und Prinzipien und fördern eine offene und ehrliche Kommunikation.
Sie pflegen aufrichtige und ehrliche Gespräche und Beziehungen. Sie berücksichtigen unterschiedliche Perspektiven, verarbeiten verschiedene Informationen ausgewogen und verhalten sich moralisch korrekt. Man hat nicht das Gefühl, dass die Führungsperson einem etwas "vormacht oder vorspielt", sondern sich einfach so gibt, wie sie wirklich ist.
Durch diese Haltung schaffen Leader*innen Vertrauen und stärken das Engagement und die Motivation ihrer Mitarbeiter*innen. Authentische Führung dient der Potenzialentfaltung und leistet Beiträge zu nachhaltigen Erfolgen. Mehr zum Thema "authentische Führung" sowie konkrete Tipps findest du hier.
Studienergebnisse zeigen also, dass eine erhöhte Achtsamkeit der Führungsperson ("mindful Leaders") die Stärkenorientierung, die Kreativität, das Sinnerleben, die Zufriedenheit, die Gesundheit, die Motivation und den Leistungsoutput fördern.
Und das kannst du konkret für mehr Achtsamkeit als Leader*in tun:
Achtsamkeit ist mittlerweile in aller Munde. Was früher noch in die spirituelle "Räucherstäbchen-Fraktion" gehörte, ist heute ein wissenschaftlich untersuchtes Konzept.
Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff?
Prof. John Kabat-Zinn ist wohl einer der bekanntesten Verbreiter der modernen wissenschaftliche fundierten Achtsamkeit. Er beschreibt Achtsamkeit so: „Bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen“ (Psychologie Heute, nach Kabat-Zinn, 1990).
Es geht also darum, die Aufmerksamkeit voll und ganz auf den gegenwärtigen Moment zu richten ohne dabei sich selbst, andere Menschen, Gedanken oder weitere Angelegenheiten zu bewerten.
In der erwähnten Studie von Tan, Peters & Reb (2023) nahmen die Führungspersonen an einem 2-tägigen Intensiv- Achtsamkeits- und Leadership-Programm teil. Anschliessend erhielt jede Führungsperson über 3 Monate hinweg dreimal ein Einzelcoaching.
Natürlich kannst du auch selbst an einem Achtsamkeitstraining teilnehmen. Am bekannsten ist das von Kabat-Zinn entwickelte Programm MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction).
Aber auch ohne Teilnahme an einem Programm kannst du einige sofort tun und in deinem Alltag nutzen. Damit leistest du sofort Beiträge zur Steigerung deiner Achtsamkeit. Hier einige Beispiele:
Body Scan
Body Scan ist eine Methode, die nachweislich hilft, die Achtsamkeit zu fördern. Du findest dazu auf gängigen Audio-Plattformen übrigens auch angeleitete Übungen. in einem Body-Scan übst du, einzelne Körperregionen ganz bewusst wahrzunehmen. Und keine Angst: Du musst jetzt nicht jeden Tag 1 Stunde Body-Scan machen. Wie wäre es mit einem kurzen Bodyscan, bevor du heute ins Bett gehst?
Umgang mit negativen Gedanken und das "Sushi-Karussell":
Achtsamkeit hat zum Ziel, Bewertungen und Beurteilungen wegzulassen.
Eine hilfreiche Methode dazu ist die Metapher des “Sushi-Karussells”. Hast du gerade viele Gedanken im Kopf? Machst du dir Sorgen oder hast du Befürchtungen? Die Gedanken verursachen Stress? Dann stell dir deine Gedanken vor wie auf einen Sushi-Karussell. Sie ziehen einfach auf dem Karrussel an die vorbei. Du erkennst sie, siehst sie aber bewertest sie nicht. Sie sind einfach da und ziehen auf dem Karrussel weiter.
Ein Video zur “Sushi-train-metaphor” findest du hier (Sushi Train Metaphor by Dr. Russ Harris (youtube.com)).
Umgang mit Selbstkritik
Wer kennt es nicht, das ewige Thema der Selbstkritik.
Hier kann das Konzept der “Selbstfürsorge” helfen. Dieses psychologisch fundierte Konzept hat zum Ziel, dass du mit dir selbst so umgehst, wie du mit einer geliebten Person (Partner*in, Freund*in, Mutter, Vater, Bruder, Schwester usw.) tun würdest.
Stell dir vor, diese geliebte Person sucht dich auf, um dir von den Sorgen zu erzählen, die du gerade in dir trägst.
Was würdest du dieser Person sagen?
Was würdest du über ihre Sorgen denken?
Was würdest du ihr raten?
Was denkst du, würde ihr jetzt gerade gut tun?
Und? Würdest du ihm/ihr das gleiche sagen und raten wie dir selbst? Oder hat das Gedankenspiel geholfen, eine neue Perspektive zu öffnen?
Achtsame Atembeobachtung:
Auch die bewusste Konzentration auf die eigene Atmung hilft, die Achtsamkeit zu fördern. Auch hier findest du viele Angebote wie beispielsweise Audio- und Videoformate auf den gängigen Plattformen.
Du kannst aber auch auf eigene Faust eine achtsame Atembeobachtung durchführen. Das könnte in etwa so aussehen:
Vorbereitung
Setze dich in eine bequeme Position. Das kann auf einem Stuhl mit geradem Rücken oder auf einem Kissen auf dem Boden sein. Schließe deine Augen oder lasse deinen Blick sanft auf einen Punkt gerichtet.
Platziere deine Hände entspannt auf deinen Oberschenkeln oder in deinem Schoss.
Nimm eine aufrechte, aber entspannte Haltung ein.
Einstieg
Beginne, indem du dich auf deine Atmung konzentrierst. Achte auf den natürlichen Fluss deines Atems, ohne ihn zu verändern. Spüre, wie die Luft durch deine Nase in deinen Körper strömt und wie sich dein Bauch und deine Brust dabei heben und senken.
Beobachte deinen Atem
Richte deine volle Aufmerksamkeit auf deinen Atem. Achte darauf, wie er sich anfühlt, wenn er ein- und ausströmt.
Achte auf den Moment, in dem sich dein Atem verlangsamt und vertieft. Konzentriere dich auf das Gefühl von Entspannung, das mit jedem Atemzug einhergeht.
Wenn deine Gedanken abschweifen, bringe sanft deine Aufmerksamkeit zurück zu deinem Atem, ohne dich dabei fürs Abschweifen zu kritisieren. Das kannst du einfach beobachten und annehmen.
Vertiefung der Achtsamkeit
Achte auf die kleinen Details deiner Atmung. Wie fühlt sich der Atem in deiner Nase an? Wie bewegt sich dein Bauch beim Ein- und Ausatmen? Gibt es eine Pause zwischen den Atemzügen?
Wenn du bereit bist, erweitere deine Achtsamkeit auf deinen ganzen Körper. Spüre, wie sich dein Körper mit jedem Atemzug entspannt und wie sich Spannungen lösen.
Wo spürst du die Atmung in deinem Körper? Spürst du, wie sich die Rippenbögen öffnen und wieder schliessen?
Abschluss
Nach einigen Minuten kannst du die Übung langsam beenden, indem du deine Aufmerksamkeit wieder auf deine Umgebung lenkst. Bewege deine Hände und Füsse und öffne dann langsam deine Augen.
Nimm dir einen Moment Zeit, um zu spüren, wie sich dein Körper nach der Übung anfühlt.
Quellen:
Effects of a Mindfulness-Based Leadership Training on Leadership Behaviors and Effectiveness | Mindfulness (springer.com)
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